„Cervo-Flora“ – Abwurfstangen im Blütenflor
Ein Ausflug mit Burkhard Stöcker in den blühenden Frühlingswald
Zwei Erscheinungen sind es die für mich seit den frühesten Kindheitstagen den Frühling einläuten: der Geweihabwurf der Hirsche und die Blüte der Märzenbecher.
Wenn auch die ganz alten Hirsche noch in den Februarschnee ihre Kopfzier werfen, so fallen doch die meisten Geweihe mitten hinein in die blühende Pracht der Märzenbecherzeit, in die Buschwindröschenblüte oder den rötlichen-weissen Blütenflor des Lerchensporns. Und so wollte es auch schon mancher Zufall, daß ich die ein oder andere Geweihstange inmitten blühender Frühlingswälder fand.
Die meisten unserer heimischen Frühblüher gehören in die Gruppe der sogenannten Geophyten. Diese schützen sich sowohl gegen winterliche Kälte, als auch gegen sommerliche Trockenheit durch ausschließlich unter der Erde liegende Überdauerungsorgane, oft in Form von Zwiebeln. Sie benötigen zum Keimen und Fruchten nur sehr geringe Frühjahrstemperaturen und durchlaufen ihren gesamten Entwicklungszyklus vor dem Laubaustrieb der Bäume. Zu einem späteren Zeitpunkt würde der Lichteinfall unter den vollbelaubten Bäumen für ein Wachstum der Krautpflanzen auch kaum mehr ausreichen.
Die großen Teppiche so bekannter Frühjahrsblüher wie der Märzenbecher oder des Buschwindröschens sind nach wenigen Wochen wieder zur Gänze verschwunden. Der Waldboden liegt dann oft scheinbar vegetationslos im tiefen Schatten der belaubten Bäume.
Die Geophyten sind jedoch aus jagerischer Sicht deutlich mehr als nur „Abwurfstangenkulisse“: nach Studien von Klötzli aus der Schweiz sind Geophytenteppiche regelrechte „Frühlingsnaschzentren“ fürs Rehwild. Viele Arten gehören in die Gruppe der eiweißreichen Kräuter und sind nach dem Winter die ersten energiereichen Nahrungspflanzen unserer Rehe.
Die meisten Geophyten wachsen in ausgeprägten Fleckenbeständen zwischen denen der Waldboden oft flächig vegetationsfrei bleibt. Dadurch, daß Rehe von einem Vegetationsflecken zum anderen wandern transportieren sie oft Samen der Geophyten über bisher kahlen Waldboden. Sie tragen dadurch zur Aus- und Verbreitung der Arten bei.
Die meisten der heimischen Geophyten werden jedoch durch Ameisen verbreitet. Auch die kleinen, meist staatenbildenden Insekten leisten damit einen wesentlichen Beitrag zur Schalenwildäsung im Wald!
Zu den einzelnen Arten
Gelbes Buschwindröschen (Anemone ranuncoloides)
Deutlich seltener als die weiße Schwesterart und nicht im atlantischen Westen verbreitet. Blüht zur gleichen Zeit wie das Buschwindröschen, kommt aber vor allem in feuchten Au- und Laubwäldern vor. Fehlt in vielen Regionen des atlantisch geprägten Nordwestdeutschland.
Lerchensporn (Corydalis spec.)
Der Name kommt von der wie Lerchenzehen geformten Blüte. Einer der schönsten Frühjahrsblüher, der in mehreren Arten vor allem in reichen Laubwäldern vorkommt.
Leberblümchen (Hepatica nobilis)
Vor allem verbreitet auf sommerwarmen, lehmigen Kalkböden. Kommt vor allem in vielen Bergregionen und in Nordostdeutschland vor. Fehlt in weiten Teilen des Westens und in den Ebenen.
Märzenbecher, Knotenblume (Leucojum vernum)
Blüht in Au- und Schluchtwäldern auf nährstoffreichen Böden. In Deutschland gefährdete Art, die jedoch in Thüringen noch Bestände mit zum Teil über 1 Millioen blühenden Exemplaren bildet. Kommt in der norddeutschen Tiefebene nur sehr vereinzelt vor. (Bild: s.o.)
Buschwindröschen (Anemone nemorosa)
Der typische, häufigste Frühlingsblüher – das Erscheinen der Buschwindröschen markiert im Blühkalender des Jahres den sogenannten Erstfrühling. Sie blühen auf verschiedensten Standorten und zeigen dort Frische- und Nährstoffreichtum an. Sie ist im ganzen Land von der dänischen Grenze bis zu den Alpen verbreitet und fehlt nur in waldfreien intensiv genutzten Agrarlandschaften. (Bild: s.o.)
Schuppenwurz (Lathraea squamaria)
Ein fast chlorphyllfreier Parasit, der sich von den Nährstoffen in den Wurzeln verschiedenster Gehölze ernährt (Hasel, Erle, Pappel, Weide). Meist in reicheren Laubwäldern zu finden. Fehlt in vielen trockenen Regionen Ostdeutschlands und in den meisten Regionen des Flachlandes.
Scharbockskraut (Ranunculus ficaria)
Wurde früher gegen Scharbock = Skorbut eingesetzt. Einer der häufigsten Frühjahrsblüher, in krautreichen Laubwäldern auf meist tiefgründigen Lehmböden. Im ganzen Lande ähnlich wie Buschwindröschen verbreitet.
Einbeere (Paris quadrifolia)
Unscheinbarer Frühblüher, der aber auf nährstoffreichen Standorten bis in die Hochlagen der Gebirge steigt (bis 1870m). Fehlt in Deutschland nur in waldfreien Räumen und in den Tockengebieten des Ostens.
Hohe Schlüsselblume (Primula elatior)
Der Gattungsname kommt von der mittelalterlichen Wortschöpfung „Primula veris“ = „erste (Blume) des Frühlings“. Gebräuchliche volkstümliche Namen wie Schlüsselblume oder Himmelsschlüssel verdanken ihre Herkunft der Ähnlichkeit mit altgermanischen Schlüsseln.
Burkhard Stöcker