Nasse Moore haben Zukunft – Paludikultur in Mecklenburg-Vorpommern
O schaurig ists übers Moor zu gehen
Wenn es wimmert vom Heiderauche
Sich wie Phantome die Dünste drehn
Und die Ranke häkelt am Strauche …
So beginnt das wohl berühmteste Moorgedicht des deutschsprachigen Raumes „Der Knabe im Moor“ aus der Feder der münsterländischen Dichterin Annette von Droste Hülshoff.
Moore bedeckten einst ca. 10% der Norddeutschen Tiefebene – eine Fläche von fast 900000ha! Sie speicherten riesige Mengen an Süßwasser (Moore sind die „Gletscher des Flachlandes“) und banden im wassergesättigten Zustand ebenso gewaltige Mengen an Kohlenstoff.
Sie waren einst primärer Lebensraum des norddeutschen Birkwildes, des Goldregenpfeifers, der Bekassine, des Brachvogels – Savannen von Wollgras und Ebenen von Seggen zogen sich bis an den Horizont.
Von der Schaurigkeit des Moorgedichtes ist in der Jetztzeit nicht viel übrig geblieben. Die Moore sind zum großen Teil entwässert und in Saatgrasland oder gar Maisäcker umgewandelt worden. Die Folgen dieser großflächigen Moorentwässerung sind vielfältig und die Formulierung „Oh Schaurig ists übers Moor zu gehen“ trifft es gewiss nicht mehr: „Oh noch schauriger ists übers trockene Moor zu gehen“ könnten man heute fortdichten:
- Durch die Entwässerung und den Abbau der organischen Substanz fallen viele Moorkörper mit der Zeit immer mehr zusammen: Moorsackung.
- Die typischen Lebensräume und ihre Arteninventare verschwinden.
- Die meisten Moore haben ihre Wasserfilter und ‑rückhaltefunktion verloren.
- Durch die intensive landwirtschaftliche Nutzung werden Oberflächen- und Grundwasser belastet.
- Durch Abbau der toten Pflanzenmasse werden enorme Mengen an Kohlenstoff- und Stickstoff freigesetzt. Die entwässerten Moorböden Mecklenburg-Vorpommerns emittieren jährlich 6.2 Mio t Co² Äquivalente. Dieser Wert übersteigt bei weitem die Emissionen aus dem gesamten Verkehr des Bundeslandes.
Unter ungestörten weitgehend wassergesättigten Bedingungen reichern sich in Mooren abgestorbene Pflanzenteile an – intakte Moore binden Kohlenstoff. Mit einem Volumen von 1200–2400 Mio t Kohlenstoff stellen Moore den größten terrestrischen Kohlenstoffspeicher Deutschlands dar. Die Wiederherstellung natürlicher Wasserregime in den heimischen Mooren kann daher einen kaum zu überschätzenden Beitrag zum Klimaschutz leisten: Während ein entwässertes, intensiv genutztes Moor jährlich 18–40t Co²/ha freisetzt kann dieser Prozess durch Wiedervernässung um 10–20t Einheit reduziert werden.
Paludikultur – die neue ökonomisch-ökologische Inwertsetzung
Moore wunden entwässert, weil sie scheinbar zu nichts nutzbar waren. Heute gibt es jedoch etliche Nutzungsmöglichkeiten, die unter dem Stichwort Paludikultur zusammengefasst werden:
Paludikultur („palus“ – lat. Sumpf, Morast) benennt die Nasswirtschaft auf intakten Mooren. Dazu gehören sowohl klassische Moor-Nutzungsverfahren wie die Rohrmahd (meist zur Gewinnung von Schilfrohr) oder die Streunutzung (das Mähgut wird zur Einstreu in Ställen verwendet) aber auch neue Nutzungsformen wie die energetische Nutzung des Moor-Aufwuchses. Der Erhalt des weitgehend natürlichen Wasseregimes und damit des Torfkörpers ist dabei primäres Ziel.
Je nach Moortyp, Standort und Wasserregime sind verschiedene Formen von Paludikultur mit verschiedenen Pflanzenarten denkbar. Dabei können krautige Pflanzen und/oder Gräser eine Rolle spielen, wie das Schilfrohr (Phragmites australis), das Rohrglanzgras (Phalaris arundinaceae) oder der Rohrkolben (Typha spec.). Diese Arten können je nach Verwendung des Materials entweder jährlich oder alle 1–2 Jahr geerntet werden. Dabei sind, zumindest beim Schilfrohr, gewaltige Erntemassen von bis zu 15–25t/ha und Jahr auf manchen Standorten möglich. Es sind aber auf nassen Moorstandorten auch forstliche Nutzungen mit bspw. Schwarzerle oder Weidenarten denkbar.
Die Produkte aus den Pflanzen der Paludikulturen sind potentiell vielseitig einsetzbar: Sie reichen von Pellets, Briketts und Silage für eine energetische Nutzung bis hin zur Anfertigung von Möbeln, Dachschilf und Blumenerde aus den geernteten Pflanzenrohstoffen. Wiedervernässte Moorkörper können bspw. aber auch mit geeigneten Tieren beweidet werden bspw. Wasserbüffeln oder ggf. auch Rothirschen, die dann entsprechend genutzt werden können. In bestimmten Fällen bietet sich auch eine spezifische Nutzung von Arzneipflanzen an bspw. bei großflächigem Vorkommen von Fieberklee (Menyanthes trifoliata).
Praktische Nutzung noch in den Anfängen
Die ersten Anbauversuche und praktischen Erfahrungen stimmen hoffnungsvoll – aber es gibt noch viel zu tun: Für eine wirklich praktikable großflächige Umsetzung ist sowohl die Weiterentwicklung der Produktionsverfahren, vor allem aber die Entwicklung spezifischer leistungsfähiger Landtechnik erforderlich. Die geringe Tragfähigkeit der nassen Böden und der Schutz der Torfkörper vor übermäßiger mechanischer Beanspruchung erfordern innovative Entwicklungen. Darüber hinaus gibt es noch viele Ressentiments zahlreicher Landwirte gegenüber einer nassen Bewirtschaftung und zu wenig erfolgreiche Pilotprojekte im betrieblichen Maßstab.
Trockene Moornutzung ist ein Auslaufmodell
Eine ökologisch angepasste und wirklich sinnige Moornutzung gibt es auf entwässerten degradierten Moorstandorten nicht. Auch der Anbau von Mais- oder Grassilage zur Produktion von Bio-Energieträgern ist unsinnig und kontraproduktiv: Die durch die Entwässerung entstehenden Treibhausgase aus dem trockenen Moor übersteigen die durch Biogas eingesparten Emissionen aus fossilen Energieträgern um ein Vielfaches! Es ist daher aus Gründen der Co² Minimierung, der Wiederherstellung eines naturnahen Landschaftswasserhaushaltes, als auch der Renaturierung moortypischer Lebensgemeinschaften dringend erforderlich die degradierten Moore endlich wieder zu vernässen.
Auf zu den neuen Moor-Ufern!
Auch bei den Mooren wird sich der alte Spruch „Use it or loose it“ offenbar mal wieder bewahrheiten. In der Vergangenheit gab es nur sehr wenige sinnige Nutzungsmöglichkeiten für nasse Moore – wir haben sie daher trockengelegt und verloren.
Inzwischen wissen wir welchen wert „Moore an sich“ haben. Wenn wir nun noch zusätzlich die schonenden, ökologisch orientierten Nutzungen nasser Moore optimieren, haben wir gute Chancen bald wieder großflächig nasse, vitale Moore zu haben. Diese können dann wieder artenreiche Lebensräume sein, Kohlenstoff binden und in heißen Sommern Kühle spenden – und sie werden hoffentlich neue ökologisch-ökonomisch sinnige Produkte liefern!
Burkhard Stöcker