Aktuelles
29.07.2020

Ökosystem-Dienst­Leis­tungen – Welchen Wert hat Natur?

Natur ist wertvoll – das ist gewiss unumstritten. Aber wie wertvoll ist Natur? Lassen sich einzelne Individuen, Arten, Biotope, ganze Landschaften auf Heller, Pfennig, Cent berechnen?

Einer der ersten, der einen derar­tigen „Öko-Ökonomie-Versuch“ vor nun fast vierzig Jahren unter­nommen hat war der große „Umwelt-Vor-Denker“ Frederic Vester. Er versuchte den Wert eines einzelnen Blaukehl­chens zu berechnen.

Zuerst einmal bestimmte er den Wert des Vogel­ske­lettes mit den darin enthal­tenen Mineralien wie Phosphor, Kalzium, Flor. Dazu kamen dann noch der Wert von Fleisch, Blut, Federn. Sie Summe daraus sind nach heutiger Umrechnung 1,5 Cent. Soweit der reine Materialwert.

Dann kamen die Leistungen des Blaukehl­chens an die Reihe: Seine Rolle als Schäd­lings­be­kämpfer und Insek­ten­ver­tilger, als Verbreiter von Pflan­zen­samen, als Freuden­bringer fürs mensch­liche Gemüt, als Bio-Indikator für Umwelt­be­las­tungen und Symbio­se­partner für andere Lebewesen. So kam Vester zu einer Summe die den reinen Materi­alwert weit, weit überstieg und sich letztlich auf eine jährliche Geldleistung von 154,09 Euro summierte. Für die Leistung „Ohren­schmaus und Augen­weide eines Vogels durch Farben‑, Formen- und Gesangs­vielfalt und durch die Eleganz des Fluges“ setzt Vester damals übrigens den Gegenwert einer Valium­ta­blette an, also 5 Cent pro Tag. Übrigens hat Vester später die gleiche Kalku­lation noch einmal für eine hundert­jährige Buche angestellt und kam auf eine Summe von 271000 Euro – der bloße Holzwert einer hundert­jäh­rigen Buche verblasste demge­genüber zu einem schieren Nichts.

Moor im Natio­nalpark Jasmund

Wenn wir heute über den „Wert“ von Natur sprechen, müssen wir zuerst einmal schauen was Natur wirtschaftlich de facto bringt: Der sogenannte „primäre Sektor“ (Landwirt­schaft, Forst­wirt­schaft, Fischerei etc.) erwirt­schaftet nicht einmal 1% der Brutto­wert­schöpfung in unserem Land. Nach dieser schlichten Rechnung wäre Natur als ökono­mi­scher Wert erst einmal schlicht nahezu irrelevant.

Natur bringt aber ohne Zweifel viel mehr Leistungen für die Gesell­schaft als nur den Beitrag des „primären Sektors“. Dafür wurde inzwi­schen der recht sperrige Begriff der „Ökosystem-Dienst­leis­tungen“ geprägt. Und diese Ökosystem-Dienst­leis­tungen sind inzwi­schen partiell berechenbar bzw. nicht mehr vorhan­denen Öko-Dienst­leis­tungen ebenfalls!

Einige wenige markante Beispiele:

  • Insekten bestäuben im geschätzten volks­wirt­schaft­lichen Wert (Nutzpflanzen des Menschen) von jährlich 1,13 Milli­arden Euro: 1130000000 Euro.
  • Entwäs­serte Moore die landwirt­schaftlich genutzt werden (Maisanbau, Intensiv-Grünland) setzen ungeheure Mengen an klima­schäd­lichem CO² frei. Eine intensive landwirt­schaft­liche Nutzung von Moorböden ist daher mit gesell­schaft­lichen Kosten von bis zu 5000 Euro/ha verbunden – der Betrag den die Gesell­schaft zu tragen hat übersteigt damit deutlich den poten­ti­ellen indivi­du­ellen betrieb­lichen Gewinn/ha. Veran­schlagen wir einmal ca. 800000ha entwäs­serte genutzte Moore bundesweit kommen wir auf Kosten…- die eigentlich schon niemand mehr tragen kann.
  • Die Umwandlung von Grünland in Ackerland verur­sacht gesell­schaft­liche Folge­kosten in Höhe von bis zu 3000 Euro pro ha/Jahr. Grünland weist aufgrund der ganzjäh­rigen Boden­de­ckung hohe Humus­ge­halte auf und hat eine deutlich höhere Wasser­spei­cher­ka­pa­zität. Es schützt deutlich besser vor Austrocknung und Erosion durch Wasser und Wind. Entlang von Gewässern schützt es dieselben deutlich mehr vor Schad­stoff­eintrag und übernimmt wichtige Pufferfunktionen.
  • In Trink­was­ser­ein­zugs­ge­bieten kann eine umwelt­ver­träg­liche Landnutzung die ökono­misch sinnigste Variante zur Bereit­stellung von sauberem Trink­wasser sein. Die durch einen ostdeut­schen Wasser­an­bieter finan­zierte umwelt­ver­träg­liche Landnutzung kostete den Wasser­ver­sorger ca. 1 Cent/m³ Wasser – eine technische Aufar­beitung des Wassers hätte bei 7 Cent/m³ Wasser gelegen. Die umwelt­ver­träg­liche Landnutzung in den Wasser­ein­zugs­ge­bieten war für den Wasser­an­bieter daher letztlich die ökono­misch sinnigste Lösung.
Honig­biene bestäubt Lavendel

Die Schwie­rig­keiten bei der Berechnung von Ökosys­tem­dienst­leis­tungen liegen natürlich auch in deren „Langat­migkeit“ in Relation zu dem meist kurzfris­tigen betriebs­wirt­schaft­lichen Nutzwerten der Bewirtschafter.

Ökosys­tem­leis­tungen sind zumeist öffent­liche Güter und negative Wirkungen ergeben sich meist erst in einer langfris­tigen Perspektive. Vitale und leistungs­fähige Ökosysteme kommen meist der Gesell­schaft und/oder vielen Menschen gleich­zeitig zu Gute. Ein schönes Beispiel dafür sind Struk­tur­ele­mente auf landwirt­schaft­lichen Nutzflächen: Sie wirken positiv auf das Landschaftsbild und erhöhen die touris­tische Attrak­ti­vität. Sie schützen vor Boden­erosion, sind Lebensraum zahlreicher Nützlinge und eines vielfäl­tigen Arten­spek­trums. Manche positive Wirkung zahlt sich aller­dings erst langfristig aus bspw. der Schutz vor der ja eher schlei­chenden Wind- oder Wasser­erosion. Die Kosten der Maßnahme für den Landwirt­schafts­be­trieb fallen jedoch zeitnah an. Anderer­seits ist auch klar: Eine überzogene Beanspru­chung der Natur durch intensive Landnutzung kann kurzfristig indivi­duelle Gewinne schaffen – langfristig jedoch vielen Menschen schaden bzw. hohe gesell­schaft­liche Kosten verursachen.

Es fällt hier meist schwer die langfris­tigen Folgen und deren häufig immensen Kosten für die Gesell­schaft klar vor Augen zu haben – die wirtschaft­lichen Gewinne und monetären Vorteile des Einzelnen liegen ja dem gegenüber meist deutlich auf der Hand. Und wer klare positive Zahlen vorweisen kann ist oft im Vorteil – vor allem gegenüber demje­nigen, der in ferner nebulöser Zukunft enorme negative Zahlen voraussagt!

Da es aber heute immer besser gelingt auch langfristige Folgen nachvoll­ziehbar zu bewerten und klar in Heller, Pfennig und Cent zu benennen, bekommt auch diese langfristige, zukunfts­wei­sende und gesell­schaftlich relevante Perspektive immer mehr Gewicht. Unser Handeln hier und jetzt hat häufig langfristige Auswir­kungen. Diese zu erkennen und klar zu benennen ist Aufgabe einer voraus­schau­enden sauberen Analyse. Wir werden voraus­sichtlich immer mehr erkennen welch große Bedeutung intakte Ökosysteme für unser gesamtes – vor allem auch volks­wirt­schaft­liches Handeln hat.

Kommen wir zum Schluss daher noch einmal auf die „Blaukehlchen-Rechnung“ von Frederic Vester zurück. Und auf seine beein­dru­ckende Relation zwischen dem reinem „Materi­alwert des Blaukehl­chens“ (1,5 Cent!) und dem „Leistungswert des Blaukehl­chens“ (156,09 Euro!) – dem mehr als 10000fachen seines reinen Materialwertes!

Setzen wir nun einmal in Analogie zur Blaukehlchen-Rechnung verein­facht als reinen „Materi­alwert der Natur“ einfach die Brutto­wert­schöpfung des primären Sektors an: 1% der jährlichen Wirtschaftsleistung.

Wenn wir nun davon ausgehen, dass auch hier der „Leistungswert der Natur“ das mehr als 10000fache des „Materi­al­wertes der Natur“ beträgt – kämen wir auf eine „Natur-Leistung“ die in einem Jahr etwa dem hundert­fachen (!) der gesamten jährlichen Wirtschafts­leistung unseres Landes entspräche: Mehr als 300 Billionen Euro = 300000000000000 Euro!

Ein gewiss gewagter und durchaus wacke­liger Vergleich, der aber nur eines deutlich zeigen soll: Den unglaub­lichen ökono­mi­schen Wert von Natur!

Burkhard Stöcker

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