Vogelbeere, Eberesche – Wunderbaum!
Es gibt kaum größere heimische Wildtiere, die nicht in der ein oder anderen Form von der Vogelbeere profitieren. Burkhard Stöcker von der Stiftung „Wald & Wild in Mecklenburg-Vorpommern“ zeigt auf, wie die Eberesche jedes Revier bereichern kann.
Wir Jäger wollen ständig, wenn nicht gleich die Welt, so doch unser Revier verbessern und sind ständig auf der Suche nach den „Highlights“ fürs Wild: Wo lässt sich noch eine Hecke anpflanzen, wo ein Hegebusch, wo ein Kleingewässer anlegen und welche Möglichkeiten haben wir im Sinne unserer Wildtiere positiv auf Forst- und Landbau einzuwirken?
Viele der anvisierten Ideen und Rezepte sind nicht finanzierbar und enden somit in der Sackgasse. Heute möchten wir Ihnen eine Pflanzenart vorstellen, die zur heimischen Flora gehört, kinderleicht handhabbar und vermehrbar ist und vor allem: der Renner für Wild und Vögel: die Gemeine Vogelbeere (Sorbus aucuparia), auch als Eberesche bekannt, da man früher glaubte sie wäre das männliche Pendant zur Gemeinen Esche (Fraxinus excelsior) – beide tragen sehr ähnliche Blätter.
Die Vogelbeere gehört zu den sogenannten Weichhölzern. Dieser Begriff bezieht sich auf eine sehr unspezifische Gruppe von Bäumen und Sträuchern, die im Schnitt nur zwei Dinge gemeinsam haben: ein weiches Holz und ein wirtschaftliches Schattendasein (außer die Pappel!). Zu den Weichhölzern gehören neben der Vogelbeere die Arten der Gattung Salix (Weiden), der Gattung Populus (Pappeln), der Gattung Sambucus (Holunder) und der Birken (Betula).
In früheren forstlichen Jahrzehnten wurden diese Arten im Wald geradezu militant bekämpft, da man eine Konkurrenz mit den „Brotbaumarten“ fürchtete – eine Konkurrenz, die aber aus heutiger Sicht nie ernsthaft bestanden hat.
Im heutigen naturnahen Waldbau werden sie sehr wohlwollend betrachtet, da sie zahlreiche Vorteile für den Wald haben: u. a. dienen sie als „Ablenkfütterung“ oder „Blitzableiter“ fürs Wild und tragen zur Verbesserung des Bodens und des Bestandesklimas bei. Diese Erkenntnis ist allerdings keinesfalls neu. Auch der alte Friedrich von Gagern schrieb in „Birschen und Böcke“: „Die Sorben (Sorbus aucuparia und andere Sorbus-Arten) spenden außer Stocktrieben auch noch die vom Wilde für Leckerbissen gehaltenen Beeren. Überhaupt: Stockaustriebe, Wurzelbrut, Weichhölzer, Brombeeren – das macht alles Füttern entbehrlich.“
V. Gagern fährt mit einem Zitat des alten Forstmannes Dr. G. Rörig fort: „So wenig es nun richtig wäre, ihnen (den Weichhölzern) eine dominierende Stellung im Bestande einzuräumen, so falsch ist es auch, sie ganz daraus verbannen zu wollen, denn wenn wir einmal unserem Wilde Heimatsberechtigung im deutschen Walde zuerkennen, haben wir auch die Pflicht, die forstlich wirtschaftlichen Maßnahmen zu treffen, welche, ohne den Wald besonders zu schädigen, geeignet erscheinen, ihn dem Wilde als Aufenthaltsort lieb zu machen.“
Bedeutung für Säugetiere und vor allem unser Wild
Es gibt kaum größere heimische Wildtiere, die nicht in der ein oder anderen Form von der Vogelbeere profitieren:
Von unseren Mardern ist bekannt, dass sie die Beeren gelegentlich nicht verschmähen und auch die heimischen Bilche (Siebenschläfer, Gartenschläfer, Haselmaus, Baumschläfer) fressen diese ausgesprochen gerne. Auch Eichhörnchen gehören zu den ausgesprochenen Verehrern der Vogelbeere.
Für unser heimisches Schalenwild bieten alle Teile der Vogelbeere eine willkommene, ja geradezu begierig aufgenommene Nahrung. Von den Knospen über die Rinde bis hin zu Blüten, Blättern und Beeren steht die Vogelbeere ganz oben auf dem Speiseplan des Wildes. In zahlreichen Untersuchungen zum Verbiss von Pflanzenarten durch Schalenwild nimmt die Vogelbeere stets eine der führenden Positionen ein.
Schon KLÖTZLI stellt in seiner wegweisenden Arbeit über Rehwild in der Schweiz fest, dass die Vogelbeere überall sehr stark verbissen wird. Für Rotwild konnten auch zahlreiche andere Autoren (u. a. PETRAK, KRAUS) ebenfalls starken Verbiss feststellen: Bei zweiundzwanzig verbissenen Holzgewächsen in der Krautschicht gehörte die Vogelbeere zur Gruppe der fünf beliebtesten Gehölze, obwohl sie die dritthäufigste Art war (im Durchschnitt werden häufige Arten deutlich weniger verbissen!).
In den Untersuchungen von PETRAK in einem deutschen Mittelgebirge wurden nur deutlich seltenere Arten stärker verbissen – das spricht für die außerordentliche Attraktivität der Vogelbeere. BRIEDERMANN stellte in seinen Untersuchungen im Erzgebirge sowohl im Jahr 1965 als auch im Jahr 1984 extrem starken Verbiss und hohe Schälintensität durch Rotwild fest. Die Vogelbeere wurde deutlich häufiger geschält als so attraktive „Schälbaumarten“ wie die Tanne oder die Fichte. Während eines Testlaufes für eine Waldinventur in Norddeutschland wurde auch der Leittriebverbiss an zahlreichen Baumarten untersucht: An Vogelbeere war er doppelt so hoch wie bei allen anderen Gehölzarten!
Bedeutung für Vögel
„Nomen est Omen“ – der Name spricht Bände: Kein heimischer Baum oder Strauch, der von so vielen Vogelarten als Nahrung genutzt wird wie die Vogelbeere. Allein ca. siebzig heimische Vogelarten laben sich an den roten Beeren und kaum ein heimischer „Allerweltsvogel“, von Buchfink über Star bis hin zum Eichelhäher, lässt sich bei Vogelbeeren lumpen.
Im Norden und Nordosten Europas wird sogar der gesamte winterliche Lebensrhythmus einer Vogelart von der Beere bestimmt: die hübschen Seidenschwänze ernähren sich im Winter hauptsächlich von den Beeren der Eberesche. Fällt die Ernte aus Witterungsgründen in Nordeuropa einmal mager aus, weichen die Vögel in südliche Gefilde aus und sind dann auch in Mitteleuropa in invasionsartigen Schwärmen zu beobachten. Wenige Ebereschenbeeren im nordischen Winter bedeuten viele Seidenschwänze im gemäßigt winterlichen Mitteleuropa!
Der Baum heißt also Vogelbeere, weil er bei den Gefiederten so beliebt ist, nicht weil er die Vögel etwa zum Überleben bräuchte, wie viele immer noch glauben: man hört häufiger die Meinung, dass die Samen in den Beeren erst zu keimen vermögen, wenn sie den Darm eines Vogels passiert haben – so das klassische Ammenmärchen. Tatsache ist jedoch, dass der Samen nach der Darmpassage durch den anhaftenden Kot einen Nährstoffvorrat mit auf den Weg bekommt, quasi ein „Startpaket“, dass das Keimen sicherlich enorm erleichtert.
So profitiert der Vogel von der Verwertung der Beeren und der Baum von der Nährstoffanreicherung und „Weiterleitung“ seiner Samen. Dieser Effekt tritt auch ein, wenn Schalenwild die Beeren aufnimmt – auch hier werden mit dem Kot wieder potenzielle „Verjüngungen abgesetzt“.
Im Umkreis beerentragender Bäume kann es somit durch Schalenwild und Vögel zu einem enormen Anstieg der Vogelbeerenverjüngung kommen – wenn nicht ein zu intensiver Wildverbiss oder extreme Beschattung dieser Entwicklung Einhalt gebietet.
Raschwüchsig, kaum Ansprüche an den Boden
Vogelbeeren wachsen ausgesprochen schnell und können dem Äser des Schalenwildes somit rasch entwachsen. Sie bedürfen also nur für kurze Zeit der „zäunenden oder jagdlich schützenden Hand“. Mit 5–6 Jahren fruktifizieren sie bereits und tragen ab diesem Zeitpunkt in der Regel jährlich reichlich Beeren. Die Vogelbeere besitzt eine ungeheure Variationsbreite hinsichtlich ihrer Standortansprüche und gedeiht auf praktisch allen Böden. Zum üppigen Wuchs benötigt sie allerdings möglichst Licht und Feuchtigkeit. Sie erträgt aber auch sehr schattige Standorte und trotzt längeren Trockenperioden, ja wächst selbst auf ausgesprochen steinigen Böden.
Laub leicht zersetzbar – Humusbildend!
Die Vogelbeere ist das was der Forstmann als „ausgesprochen bodenpfleglich“ bezeichnet. Besonders auf armen Böden, in Kiefernheiden und auf steinigen Böden ist sie häufig der einzige attraktive Laubbaum – Birke ist bei allen Schalenwildarten als auch beim Hasen relativ unbeliebt und gilt als sogenannte Notäsung.
Durch ihre leicht zersetzbare Streu leistet die Vogelbeere einen Beitrag zur raschen Wiederverfügbarkeit der Nährstoffe im Boden – so verbessern Vogelbeeren auf Dauer vor allem arme Standorte. Fast überall wurde sie in den durch das sogenannte „Waldsterben“ degradierten Kammlagen der Mittelgebirge als Vorwald und Humusbildner eingesetzt.
Die Vogelbeerenblätter haben im Vergleich zu Fichtennadeln, aber auch im Vergleich zu Buchenblättern einen wesentlich höheren Magnesium- und Kalziumanteil. Darüber hinaus weisen die Früchte einen hohen Kaliumgehalt auf – Standortverbesserung gratis. Zahlreiche dieser Anpflanzungen aus den achtziger Jahren sind heute zu beeindruckenden Vogelbeerenwäldern herangewachsen.
Die pure Ästhetik
Im Frühsommer trägt die Vogelbeere zu den filigranen Blättern sehr schöne, blassweiße Blütendolden, aus denen im Spätsommer die orangefarbenen bis knallroten Früchte reifen. Im Herbst kommt häufig zu den noch vorhandenen Früchten das rote Blätterkleid hinzu, so dass die Vogelbeere fast das ganze Jahr auch fürs Auge im Revier viel hergibt.
Vermehrung (Anpflanzung, Beerenmeische, Brennesseljauche)
Die effektivste Vermehrungstrategie im heimischen Revier ist die Anpflanzung (...und der möglichst gleichzeitige Schutz!) von Einzelbäumen.
Die Anpflanzung lohnt sich überall, wo es halbwegs lichte Stellen im Revier gibt: Entlang von Wegen und Schneisen, an Feld- und Waldrändern, an Wiesen, Holzlagerplätzen, Wildäckern. Überall wo ein wenig Licht und Platz ist, macht sich eine Vogelbeere ausgezeichnet.
Wer es noch einfacher (aber auch nicht so erfolgversprechend!) mag, der sammle im Herbst Vogelbeeren und bringe sie im Revier überall da aus, wo halbwegs lichte Stellen sind. Am besten man hängt sie irgendwo über Äserhöhe in die Bäume. Die Verteilung und Ausbreitung besorgen dann die „gefiederten Freunde“. Effektiv ist jedoch auch folgende Methode: man sammelt die Beeren und dreht sie durch Großmutters Fleischwolf. Der so entstandene Brei wird möglichst großflächig in lichten Hecken, an Wald oder Wiesenrändern oder in lichten Waldbeständen aufgetragen – dort wo man halt gerne Ebereschen haben will. Hier kann man übrigens auch mehrere Beerensorten mixen (Holunder, Weißdorn, Schlehe, Hagebutte...) und dann ausbringen. Die Keimprozente sind z. T. ganz hervorragend!
Eine weitere Variante ist das Ansetzen von Brennesseljauche mit Vogelbeeren: die Jauche hat nach ca. 14 Tagen die Fruchthüllen so weit zersetzt, dass die keimfähigen Samen freiliegen – ein Prozess, den sonst der Vogel- oder Schalenwilddarm erledigt!
Wundern Sie sich jedoch bitte nicht, wenn nach wenigen Jahren aus ihrem Revier noch kein Äsungs- und Deckungsdschungel entstanden ist. Die Keimlinge sind fürs Wild so attraktiv, dass sie ohne Schutz rigoros verbissen werden. Schützt man also diese Flächen nicht durch einen Zaun, ist hier ggf. in den ersten Jahren mit einer Schwerpunktbejagung der jungen Vogelbeerengeneration ein wenig unter die Arme zu greifen.
Dort, wo sich im Wald reichlich Vogelbeeren befinden, werden sie weder vergeblich auf den Bock, noch aufs Rotwild warten.
Mit jeder früchtetragenden, vor Verbiss geschützten Vogelbeere, erzielen sie einen „Schneeballeffekt“ und lassen je nach Beerenansatz jedes Jahr hunderte bis tausende von Vogelbeeren durch die gefiederten und befellten Helfer verteilen. Haben sie mehrere solcher beerentragenden Mutterbäume im Revier, ist die regelmäßige Anwesenheit von Vogelbeerenverjüngung und damit dauerhafter Nachschub an Schalenwildäsung gewährleistet.
Es gibt kaum eine simplere Methode, um Wälder oder arme Standorte ohne viel Aufwand aufzuwerten als durch die Förderung der Vogelbeere – sie sollten in diesem Sinne weder Frühjahr noch Herbst ungenutzt verstreichen lassen!
Burkhard Stöcker