Von Nützlingen und Schädlingen, Nutzwild und Schadwild… und unseren wohlgepflegten „Schad-Bildern“
Auch wir Jägersleute teilen, so wie alle anderen Menschen auch unsere jagerische Welt in nützliche und schädliche Tiere.
Dabei findet jedoch der Terminus des „Schad-Wildes“ bei einzelnen Jägergruppen eine völlig unterschiedliche Verwendung, je nachdem welchem „Lager“ und/oder welcher „Gesinnung“ man so angehört.
Schalenwild-Typ versus Raubwild-Typ
Beide Gruppen stehen in unseren Revieren stellvertretend für die zwei wesentlichen „Wild-Management-Ansätze“: Die „Schalenwild-Bekämpfungs- und Raubwild-Hätschel-Reviere“ auf der einen und die „Schalenwild-Hätschel und Raubwild-Bekämpfungs-Reviere“ auf der anderen Seite. Häufig stehen beide Lager sich auch eher unversöhnlich gegenüber.
Der Schalenwild-Bekämpfer moderner Prägung pflegt Schalenwild heute eher als Schad-Wild zu behandeln und nur im totem Zustand ist das Ziel unverbissener und ungeschälter („ökologisch intakter“!) Wälder zu erreichen. Der Schalenwild-Bekämpfer vergisst über der „entfesselten Tilgerei des Schalenwildes“ zuweilen, dass die Vitalität des Waldes auch von ganz anderen Faktoren abhängt als der militanten Bekämpfung des Schalenwildes. Eine intensive Jagd des Raubwildes wird mit dem Hinweis auf deren „ökologische Rolle“ meist strikt abgelehnt
Der Raubwild-Bekämpfer pflegt sämtliches Raubwild eher als Schad-Wild zu behandeln und nur in totem Zustand ist das Ziel unbehelligter und vitaler („ökologisch intakter“) Niederwildbestände zu erreichen. Der Raubwild-Schad-Bekämpfer vergisst über der „entfesselten Tilgerei des Raubwildes“ zuweilen, dass die Vitalität der Niederwildbestände auch zumeist von ganz anderen Faktoren abhängen als der militanten Bekämpfung des Raubwildes. Eine intensive Jagd des Schalenwildes wird mit dem Hinweis auf deren „kulturelle Rolle“ meist strikt abgelehnt.
Der Blick auf die jeweilige Materie hat in den seltensten Fällen mit ökologisch fundiertem Knowhow oder einer wirklich differenzierten Betrachtung zu tun. Zuweilen beschleicht einen das Gefühl, dass es in den meisten Fällen schlicht die „spezifische Revierprägung verbunden mit dem traditionell-prägenden Umfeld“ sind, die hier den Ausschlag in die eine oder andere Richtung geben. Derjenige, der ins „Schalenwild-Bekämpfer-Milieu“ hineingeboren wurde, pflegt unbescholten und unverblümt jene Weltanschauung. Genau wie der Kollege aus dem „Raubwild-Bekämpfer-Milieu“ dies ebenso tut – der Apfel fällt halt nicht weit vom Stamm und häufig kann man nun einmal seine jagdlich-prägende Herkunft kaum leugnen.
Die Problematik des jeweiligen Schad-Getiers scheint mir jedoch zuweilen deutlich geringer als das Potential wechselseitigen Betrachtens und Lernens zwischen diesen beiden Gesinnungsgruppen.
Und ein möglicher erster Schritt zur Überschreitung jener „Milieu-Grenze“ ist die Neugier auf die Sicht des anderen und dann das Schlüpfen in die Rolle des Gegenübers. Hier käme uns das alte historische Gerichtsritual zur Hilfe: Die sich streitenden Parteien reichen sich die Hand und sind dazu verpflichtet in der anschließenden Verhandlung die Position der Gegenseite zu vertreten – der mehr oder minder sanfte Zwang zum radikalen Perspektivenwechsel!
Der Schalenwild-Bekämpfer sollte, genauso wie der Raubwild-Bekämpfer sich zuweilen mal an den eigenen „Äser“ respektive „Fang“ fassen und über den eigenen Tellerrand hinausschauen. Beide würden sie dann vielleicht feststellen, dass das jeweilige „generelle Totschießen möglichst vieler Schad-Tiere“ eher die platte Holzhammermethode ist und in den seltensten Fällen einer differenzierten Betrachtung standhält.
Natürlich kann es bei notwendigem Waldumbau geboten sein Schalenwild einmal intensiv zu jagen, oder an Vogelkolonien oder in Feuchwiesenbrüterlebensräumen dem Raubwild intensiv nachzustellen – je nach Situation, Umständen und spezifischen lokalen Zielen.
Aber im „Otto Normal Wald“ ist weder die rigorose Schalenwildbekämpfung geboten noch in der „Otto Normal Feldflur“ die drastische Raubwildbekämpfung.
Wenn beide Schad-Tiergruppen von ihren jeweiligen Jäger-Gruppen geradezu militant bekämpft werden – sagt dies häufig mehr über die Bekämpfer aus als über die faktische Notwendigkeit jener Bekämpfung.
Feindbilder zu haben und zu pflegen ist wohl menschlich – sie gegenüber freilebenden Tieren abzubauen gelegentlich aber wohl auch hilfreich.
Burkhard Stöcker